Freiheit, die ich meine

Ja, zugegeben, Motorradfahren als Inbegriff von Freiheit ist ein Klischee. Aber Klischees werden eben deshalb zum Klischee, weil sie i.d.R. einen wahren Kern haben. Sucht man nach einer Visualisierung dieses Klischees von der Freiheit des Motorradfahrens, dann landet man fast unausweichlich bei zwei Choppern, die zu den Klängen von Steppenwolfs “Born to be wild” durch amerikanische Wüstenlandschaft cruisen. Im Sattel Peter Fonda als Wyatt (“Captain America”) und Dennis Hopper als Billy. Freiheit bedeutet in diesem wohlbekannten Road Movie vor allem, frei von Zwängen und Konventionen, aber auch frei von der einengenden Blechhülle eines Autos (von Motorradfahrern gerne auch Bürgerkäfig genannt), durch Raum und Zeit zu reisen. Am Tag im Sattel dieser urgewaltigen Maschinen, abends am Lagerfeuer – im Falle von “Easy Rider” den Geist noch zusätzlich befreit durch den Konsum bewusstseinserweiternder Substanzen.

Freiheit hat aber natürlich noch viele weitere Facetten, und wenn wir heute über Freiheit diskutieren, dann vor allem über Meinungsfreiheit. Der jüngste Anstoß zu dieser Debatte kam zwar nicht von Captain America, aber trotzdem aus den USA: Im Februar brüskierte der amerikanische Vizepräsiden J.D. Vance in seiner viel beachteten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Europäer mit dem Vorwurf, dass es schlecht stünde um das Recht auf freie Meinungsäußerung auf dem alten Kontinent. Und im Mai legte das liberale britische Wirtschaftsmagazin “The Economist” noch nach und titelte (leider nicht ganz zu unrecht): “J.D. Vance was right”.

Nun haben inzwischen genügend Kommentatoren darauf hingewiesen, dass es natürlich historisch und kulturell bedingte Unterschiede im Verständnis von Meinungsfreiheit zwischen den USA und Europa gibt, aber auch jenseits dieser Unterschiede haben wir gerade hier in Deutschland offenkundig ein Problem, wenn nur noch 40% der Befragten in einer Allensbach-Studie glauben, ihre Meinung frei äußern zu können – was 1990 noch 78% bejahten. Und wenn ein Journalist wegen des Postings eines eindeutig satirischen Memes, das der ehemaligen Bundesinnenministerin unterstellt, sie hasse die Meinungsfreiheit, zu sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wird oder wenn die Polizei im Morgengrauen Hausdurchsuchungen bei Bürgern durchführt, die ein – ebenfalls satirisches – Meme geteilt haben, das den ehemaligen Wirtschaftsminister als Schwachkopf bezeichnet, dann ist das in höchstem Maße bedenklich. Mindestens ebenso bedenklich ist die Einführung von Meldestellen für kritische Meinungsäußerungen im Internet im Rahmen des “Digital Service Act”. Natürlich ist die Meinungsfreiheit – wie jede Freiheit – nicht grenzenlos. Dort, wo die Grenze beispielsweise zur Beleidigung oder Volksverhetzung überschritten ist, endet das Recht auf freie Meinungsäußerung. Aber eben erst dort, und nicht vorher! Und ob diese Grenze überschritten ist, entscheiden in einem freiheitlichen Rechtsstaat Gerichte, und nicht irgendwelche “trusted Flagger” anhand von solch schwammigen Begriffen wie “Hassrede”, “Hetze” oder “negativ für den zivilen Diskurs”.

Es ist wohl ein wenig so, wie auch im Hollywood-Epos “Easy Rider”: Wirklich freie Individuen sind der Staatsgewalt immer suspekt, und auch Wyatt und Billy landen im Gefängnis – weil sie sich ebenso frech wie unerlaubt einer Parade angeschlossen haben. Glück für sie, dass in diesem Gefängnis gerade der Anwalt George Hanson seinen Rausch ausschläft. Hanson, gespielt von Jack Nicholson, arbeitet für die Amerikanische Bürgerrechtsunion (American Civil Liberties Union, ACLU), die sich seit 1920 für bürgerliche Freiheitsrechte einsetzt – vor allem für das Recht auf “Free Speech”. An dieser Stelle zeigt sich, dass “Easy Rider” eben nicht nur oberflächlich mit dem Freiheitsklischee “Motorrad fahren” spielt, sondern sehr viel tiefer geht – vielleicht gab es auch deshalb eine Oscar-Nominierung für das beste Originaldrehbuch. Dank Hansons ACLU-Beziehungen werden die drei aus der Haft entlassen und Hanson fährt als Sozius mit, wird aber später genauso Opfer amerikanischer Spießbürger wie am Ende Billy und Wyatt. Der Bürgerrechts-Anwalt George Hanson alias Jack Nicholson auf dem Rücksitz des Motorrades bringt mich jedenfalls zu meinem fiktiven Sozius, mit dem ich 2016 zum Honig kaufen in die Provence fuhr, und zu einem seiner vielen unsterblichen Zitate:

„Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist das Recht eines jeden freien Menschen, das man nicht leugnen kann, ohne die abscheulichste Tyrannei auszuüben.“ (Voltaire)

Anstatt reflexartig mit Empörung Vance´ Vorwürfe zurückzuweisen, sollten wir Europäer also vielleicht lieber einmal inne halten, uns auf die großen Vordenker der (europäischen!) Aufkärung wie Voltaire und andere besinnen und überlegen, ob wir in Sachen Meinungsfreiheit gerade auf dem richtigen Weg sind. Was als Kampf gegen “Hass und Hetze” vielleicht gut gemeint sein mag, erweist sich womöglich am Ende als erster Schritt auf eine gefährliche schiefe Ebene in Richtung Orwell´scher Dystopie.

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