Fronleichnam-Wochenende, vier Tage frei, Wettervorhersage zumindest halbwegs gut – da muss der passionierte Kradfahrer nicht lange überlegen: Zahnbürste & co. sind schnell gepackt und ab geht’s, ohne große Planung, vorgegebene Richtung: Süd-Ost. Dort, wo Deutschland an seiner östlichen Grenze einen deutlichen Knick hat, finden sich mit Thüringer Wald, Erzgebirge, Fichtelgebirge und Fränkischer Alb vier große Mittelgebirge, die ich unter die Räder nehmen möchte. Wenn man das Thüringer Schiefergebirge als eigenes Mittelgebirge zählt, wäre das Quartett schon ein Quintett. Zählt man auch Fränkische Schweiz und Frankenwald separat, gar ein Septett. Mag dann auch das kleine Elstergebirge eine Rolle spielen, reden wir schon von einem Oktett. Und auf der Rückfahrt liegen noch Haßberge und Rhön auf dem Weg, so dass ich die Tour auch mit Mittelgebirgs-Dezett überschreiben könnte, aber jetzt verzetteln wir uns in den Feinheiten geographischer Abgrenzungen und Bezeichnungen, wo wir doch eigentlich nur Motorrad fahren wollen.
Zunächst geht es also in den Thüringer Wald, die schönen und kurvigen Strecken über Ruhla, Bad Liebenstein, Oberhof (die Thüringer Rostbratwurst zwischendurch, natürlich vom Holzkohlegrill, ist obligatorisch) und durch das Schwarzatal sind ebenso wohlbekannt wie wohlgelitten von nicht wenigen früheren Thüringen-Touren, ebenso das Tagesziel: Ziegenrück, herrlich gelegen in dem tiefen Taleinschnitt, den die Saale am Nordrand des Thüringer Schiefergebirges geschaffen hat. Perfektes Timing an diesem Tag: Gerade als ich mein kleines Zimmer im Hotel beziehe, ergießt sich ein kräftiger Hagelschauer über den Ort. Nach dem leckeren und günstigen Essen (passend zur Saison ein Schweinesteak mit Spargel für gerade einmal 16,80 €) ist der Spuk aber wieder vorbei und ich kann noch einen abendlichen Verdauungsspaziergang am Saale-Ufer unternehmen.
Am nächsten Morgen geht es erst einmal auf die Rennstrecke. Immer wieder schön, am Schleizer Dreieck an den Tribünen vorbei zu sausen und sich kurz wie ein Rennfahrer zu fühlen. Es wartet dann das Vogtland, mit so herrlichen Ortsnamen wie Jägersgrün oder Morgenröthe-Rautenkranz. Ich bin nicht sicher, wo genau das Vogtland in das Erzgebirge übergeht (im Internet liest man von einem „nahtlosen“ Übergang), jedenfalls führt mich der Weg über den mit sächsischem Humor mit 1788 halben Metern Höhe angegebenen Paß „Hefekloß“ nach Johanngeorgenstadt, wo ich gegenüber der großen Pyramide einen Eisbecher nebst Cappuccino genieße. Die Stadt mit langer Bergbautradition (insbesondere Eisen und Zinn) ist – bzw. war – vor allem für den Uranabbau bekannt. Martin Heinrich Klaproth isolierte schon 1789 Uran aus Pechblende-Proben aus Johanngeorgenstadt.
In Breitenberg überquere ich die Grenze nach Tschechien, eine wunderschöne kleine Straße führt idyllisch durch Wald- und Wiesenlandschaft über Platten nach Gottesgrab, wo ich wieder nach Deutschland komme und sogleich den Fichtelberg erklimme – mit 1.215 Metern der höchste Berg des Erzgebirges auf deutscher Seite. Genau auf dieser Seite der Grenze folge ich dann dem Erzgebirgskamm in nordöstlicher Richtung, statte dem „Spielzeug-Dorf“ Seiffen einen kurzen Besuch ab und wechsele dann wieder nach Tschechien um schließlich, dem südlichen Gebirgskamm folgend, in einem Bogen Karlsbad zu erreichen. Der eigentlich hübsche Kurort erscheint mir gar nicht mehr so, wie ich ihn von meinem letzten Besuch 1997 in Erinnerung habe. Eigentlich nehme ich an diesem Freitagnachmittag nur einen einzigen Verkehrsstau wahr und bin froh, als ich wieder weniger dicht besiedeltes Gebiet erreiche. Zunächst geht es auf der E 49 südwärts, bei Becov biege ich rechts ab, erst auf die herrlich kurvige Straße 230, dann nochmal rechts auf die 210 über Prameny Richtung Marienbad. Die „kleine Schwester“ von Karslad hat sich nach meinem Eindruck viel eher den Charme des mondänen Kurbades erhalten, zum UNESCO-Welterbe zählen aber beide.
Mit Kaffee und Kuchen gestärkt gelange ich über den Grenzübergang Mähring wieder nach Deutschland, wo ich dann nach einiger erfolgloser Suche schließlich in Warmensteinach im Fichtelgebirge ein Hotelzimmer finde. Nach 461 Kilometern an diesem Tag schmeckt das Abendessen – ein kräftiges Gulasch – vorzüglich, den Abend lasse ich dann auf dem Balkon ausklingen, mit Blick ins Fichtelgebirge.
Nachdem die Zimmersuche am Vortag ja etwas mühsam war, buche ich am nächsten Morgen noch vor dem Frühstück vorsorglich ein Zimmer in Schwabthal bei Bad Staffelstein, dann geht es mäandernd durch Fichtelgebirge, Frankenwald und Fränkische Schweiz. In Weismain mit seiner hübschen Altstadt gönne ich mir einen hervorragenden Erdbeerbecher, danach wieder viele fränkische Kurven.
Bei Kathi Bräu, dem bekannten fränkischen Motorradtreff, ist es mir an diesem Samstag viel zu voll, ich fahre nach einer Runde über den Parkplatz gleich weiter und lege dann kurz vor dem Tagesziel noch eine lange Pause an der Kreuzkapelle Steinfeld ein: Ein kontemplativer Ort, und ich schrieb ja schon hier, dass ich nur selten an schön gelegenen Kapellen vorbei fahren kann. Da das Hotel ja bereits gebucht ist, habe ich auch keine Eile, und so genieße ich an diesem heißen Tag den Schatten der Bäume und die Stille des Ortes gleichermaßen. Schließlich im Hotel angekommen, erfrische ich mich erst mit einem fälligen Stiefelbier, danach im hoteleigenen Schwimmbad. Den Abend genieße ich auf der Hotelterrasse – bis kurz vor 23 Uhr in kurzer Hose.
Nächster Tag, Sonntag, schon ist die Heimreise angesagt. Diese führt mich kreuz und quer durch die Haßberge, wobei ich ganz dem Navi überlasse, mich über kleine und kleinste Sträßchen zu leiten. Über Meiningen und Bad Salzungen erreiche ich schließlich das Fuldatal bei Bebra, könnte jetzt das Navi getrost ausschalten: Ab jetzt sind es dann Hausstrecken, die mich über Rotenburg nach Hause zur heimischen Garage bringen. Ob nun Quartett oder Dezett – eine lohnende Mittelgebirgstour war das allemal.