Unnützes Motorrad-Wissen (2)

Ich bin wahrlich kein großer Freund von Weihnachten, schon gar nicht von dem Rummel, der um dieses Fest alljährlich gemacht wird – und dem man leider in diesen Tagen nur schwer entgehen kann. Aber ich muss zugeben: Ich liebe die Weihnachtsgans, vor allem, wenn meine Liebste sie zubereitet. Und damit der Gänsebraten zu Weihnachten auch ja gelingen möge, nötigen mein Sohn und ich meine Frau regelmäßig dazu, Anfang November schon einmal mit einer Martinsgans zu üben. Womit eine Assoziationskette beginnt, die zugegebenermaßen womöglich etwas „schräg“ anmutet – zumindest auf den ersten Blick. Der Weg vom festlichen Gänse-Braten zum „Vater der Gänse“ ist vielleicht nicht unbedingt naheliegend, aber auch nicht wirklich weit: Konrad Lorenz ist ja als Zoologe und Verhaltensforscher gerade durch seine Studien zu den Graugänsen (Anser anser) berühmt geworden, vor allem natürlich zu „Martina”, der Gans, die er selbst aufgezogen hat (die allerdings ausdrücklich nicht nach dem heiligen Martin, sondern nach einer Freundin benannt wurde, also nichts mit der Martinsgans von oben zu tun hat1)). Jedes Schulkind hört jedenfalls irgendwann im Biologie-Unterricht die Geschichte von Martina und den anderen Gänsen, und die meisten von uns haben dazu ein Bild im Kopf: Konrad Lorenz, mit grauem Schopf und ebenso grauem Bart, verfolgt von einer Gänseschar.

Der „Gänse-Vater“ mit seinen Zöglingen, DEA Picture Library

Was aber vermutlich die wenigsten wissen, und was zumindest ich nicht in der Schule gelernt habe: Lorenz war nicht nur begeisterter Motorradfahrer, sondern hat sogar eine zehnjährige Karriere als Motorrad-Rennfahrer vorzuweisen (von 1924 bis 1934). Und seinen charakteristischen Bart trug er wohl vor allem deshalb, um damit die Narben zu verdecken, die er aufgrund eines Kieferbruchs nach einem Motorradunfall 1930 davongetragen hatte2). Und hier schließt sich dann auch der Kreis zum letzten Teil des „unnützen Motorrad-Wissens“, in dem die Brough Superior eine Hauptrolle spielte: Auch Konrad Lorenz fuhr Motorräder aus der Motorradschmiede von George Brough. Das erste (es müsste dann wohl eine SS 80 gewesen sein) erwarb er bereits 1922, dem Jahr, in dem er auch sein Medizinstudium aufnahm. Es heißt, er erfüllte sich seinerzeit mit dem Kauf des edlen Krads einen Traum3). Dass er der Marke treu blieb, zeigt ein Bild aus Wien aus dem Jahr 1927: Konrad Lorenz auf einer Brough Superior 680 OHV.

Konrad Lorenz auf Brough Superior, Bildarchiv der ÖNB, Fotograf Lothar Rübelt

Die wichtigsten Forschungsbeiträge des Nobelpreisträgers Lorenz sind vermutlich diejenigen zur Instinkttheorie – auch wenn sein „psychohydraulisches Instinktmodell“ neueren Erkenntnissen von Neuropsychologie und Hirnforschung wohl nicht mehr ganz standhält. „Instinktiv“ Motorrad zu fahren in dem Sinne, dass bestimmte Handlungen und Reaktionen nicht mehr bewusst gesteuert werden müssen, sondern – wie ein Programm – unbewusst, quasi automatisiert ablaufen, ist ja letztlich auch das Ziel jedes ambitionierten Kradfahrers. Was uns unmittelbar zu einem weiteren Motorrad fahrenden Verhaltensforscher führt: Bernt Spiegel, der in seinem bekannten Buch „Die obere Hälfte des Motorrads“ mehrfach auf Konrad Lorenz Bezug nimmt. Z.B. auf S. 36 ff., wo es um die Bedeutung von handlungssteuernden Programmen geht. Kurz und sehr stark vereinfacht zusammengefasst, werden unsere Handlungen durch „Programme“ gesteuert, die zu einem Teil angeboren sind (und damit am ehesten dem entsprechen, was man gemeinhin unter „Instinkten“ versteht), zu einem anderen Teil aber erworben werden (etwa dadurch, dass wir etwas lernen, wie z.B. Motorrad fahren). Gerade die erworbenen Programme bedürfen aber der regelmäßigen Pflege, müssen also trainiert werden, vor allem auch, um nicht in alte Programme „zurückzufallen“. Spiegel zitiert Lorenz in diesem Zusammenhang mit seinem vielleicht bekanntesten Satz:

Gesagt ist nicht gehört,
gehört ist nicht verstanden,
verstanden ist nicht einverstanden,
einverstanden ist nicht angewendet,
angewendet ist nicht beibehalten”.

Laut Spiegel stellt für viele Motorradfahrer übrigens schon die Winterpause einen Mangel an „Programmpflege“ dar. Dies ist ein Grund dafür, es im Frühjahr auf dem Krad erst einmal ruhig angehen zu lassen (oder aber auch, um im November schon einmal für die Weihnachtsgans zu üben!). Eine Alternative für den wetterfesten Kradfahrer bestünde darin, gleich ganz auf die Winterpause zu verzichten, so wie ich es seit je her handhabe. Es gibt ja – zumindest hier in Nordhessen – normalerweise zum Glück genügend Tage ohne Eis und Schnee, an denen man mit entsprechend warmer Kleidung Motorrad fahren kann. Die weit geschnittene Winterkombi hat dabei obendrein den großen Vorteil, dass sie sich auch mit Martins- und Weihnachtsgans verträgt. Der Gedanke daran, ob und wie man im Frühjahr wieder in die Lederkombi passt, lässt sich einstweilen beim Genuss einiger Weihnachtsplätzchen (ebenfalls von der Liebsten selbst gebacken) ganz vorzüglich verdrängen…

1) Konrad Lorenz, Hier bin ich – wo bist du? Ethologie der Graugans, S. 29.
2) Universität Wien, Biografie von Konrad Lorenz: https://klf.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/p_klf/Konrad_Lorenz_Biographie.pdf
3) Lebenslauf Konrad Lorenz, Haus Altenberg: http://klha.at/kl_cv_cv.html

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